Der Schrecksenmeister: Ein kulinarisches Märchen aus Zamonien von Gofid Letterkerl. Neu erzählt von Hildegunst von Mythenmetz
Über den Autor und weitere Mitwirkende Walter Moers, 1957 in Mönchengladbach geboren, ist der Erfinder des »Käpt'n Blaubär« und hatte auch große Erfolge mit den Büchern um »Das kleine Arschloch« und der Comic-Figur »Adolf«. 1999 stürmte der Roman »Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär« die Bestsellerlisten. Dem folgten inzwischen mehrere sehr erfolgreiche Romane nach, die ebenfalls auf dem phantastischen Kontinent Zamonien spielen. Leseprobe. Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber. Alle Rechte vorbehalten. Echo Stellt euch den krankesten Ort von ganz Zamonien vor! Eine kleine Stadtmit krummen Straßen und schiefen Häusern, über der ein schauriges schwarzesSchloss auf einem dunklen Felsen thronte. In der es die seltensten Bakterienund kuriosesten Krankheiten gab: Hirnhusten und Lebermigräne,Magenmumps und Darmschnupfen, Ohrenbrausen und Nierenverzagen. EineZwergengrippe, die nur Personen unter einem Meter Körpergröße befiel.Geisterstundenkopfweh, das Schlag Mitternacht begann und Punkt ein Uhrverschwand, jeweils am ersten Donnerstag jedes Monats. Phantomzahnschmerzen,die ausschließlich Leute bekamen, die schon Gebisse trugen.Stellt euch eine Stadt vor, in der es mehr Apotheken und Heilkräuterläden,Quacksalber und Zahnklempner, Krückenschreiner und Mullbindenweber gabals sonst wo auf dem Kontinent! In der man sich mit »Ohwehohweh!« begrüßteund mit »Gute Besserung!« verabschiedete. In der es nach Äther und Eiterroch, nach Lebertran und Brechmitteln, nach Jod und Tod.Eine Stadt, in der man nicht lebte, sondern vegetierte. In der nicht geatmetwurde, sondern geröchelt. In der niemand lachte, sondern jeder nur jammerte.Stellt euch einen Ort vor, an dem die Häuser so krank aussahen wie seineBewohner! Häuser mit buckligen Dächern und warzigen Fassaden, denen dieSchindeln ausfielen und von denen der Kalk rieselte. Die sich gegeneinanderlehntenwie Schwindsüchtige, um nicht zusammenzubrechen. Die von Gerüstenmühsam aufrecht gehalten wurden wie von Krücken.Könnt ihr euch das vorstellen? Gut. Dann seid ihr in Sledwaya.In jener Zeit lebte in dieser Stadt eine alte Frau, die ein Krätzchen* besaß,welches sie Echo nannte. Diesen Namen hatte sie ihm gegeben, weil es ihr, imGegensatz zu all den gewöhnlichen Katzen, die sie vorher besessen hatte, mitmenschlicher Stimme antworten konnte.Als die alte Frau starb – an Altersschwäche übrigens, ganz friedlich und imSchlaf –, war dies das erste richtige Unglück, das Echo in seinem Leben widerfuhr.Er hatte bis dahin ein grundgemütliches Hauskratzendasein geführt, mitregelmäßigen Mahlzeiten, viel frischer Milch, einem Dach über dem Kopf undeinem gepflegten Kratzenklo, das zweimal täglich gereinigt wurde.* Kratze, die: Zamonische Spielart der Hauskatze, von der sie sich äußerlich und in ihrenEigenschaften nur darin unterscheidet, dass sie sprechen kann und zwei Lebern besitzt. A. d. Ü. Nun aber fand sich Echo auf der Straße wieder, ausgesperrt von den neuenBesitzern des Hauses, die so ganz und gar keine Kratzenfreunde waren. Und esdauerte nicht lange, da war das Krätzchen, dem jegliche kriminelle Energiefehlte, um sich im gnadenlosen Milieu der Straße durchzuschlagen, furchtbarheruntergekommen und abgemagert. Von allen Türschwellen verjagt, vonstreunenden Hunden gebissen und zerzaust, waren seine Lebensfreude, seinegesunden Instinkte, selbst sein glänzendes Fell dahingegangen, und es wirktenur noch wie das Gespenst einer Kratze. Und wie Echo so erbärmlich auf demTrottoir hockte mit seinen verdreckten Haaren, die ihm büschelweise ausfielen,und Passanten um etwas zu essen anflehte, da sah er sich auf dem tiefstenPunkt seines Daseins angekommen.Aber die Leute von Sledwaya, egal, ob Mensch, Halbzwerg oder Rübenzähler,trotteten mitleidlos und mechanisch wie Schlafwandler an ihm vorbei,wie es von jeher ihre Art war. Ihre Haut war bleich und blutarm, ihre Augenvon dunklen Ringen umschattet, ihr Blick glasig und freudlos. Sie gingen mitgesenkten Köpfen und hängenden Schultern, und manche machten den Eindruck,als würden sie gleich im Gehen oder Stehen ihr Leben aushauchen.Viele husteten schrecklich, röchelten oder niesten, schnieften in große, oftblutige Taschentücher, und manche trugen warme Wickel um den Hals. Aberdas war ein normaler Anblick. In Sledwaya sahen alle Bewohner alle Tage soaus – und der Grund dafür kam gerade um die Ecke.Eißpin, der sehr Schreckliche Denn als ob diese trostlose Szene noch einer Krönung bedurfte, kam der StadtschrecksenmeisterEißpin des Weges. Wenn jemals ein Albtraum Gestalt annehmenund durch die wirkliche Welt spazieren wollte, dann würde er die vonEißpin wählen. Der Alte war eine wandelnde Vogelscheuche, eine entsprungeneGeisterbahnfigur, vor der alles Lebendige floh, vom kleinsten Käfer biszum kraftvollsten Krieger. Es schien, als stolziere er zu einer furchtbarenMarschmusik, die nur er selber hörte, und jedermann wich seinem sengendenBlick aus, um nicht geblendet, verflucht oder hypnotisiert zu werden. Eißpinwandelte im vollen Bewusstsein, von allen gehasst und gefürchtet zu werden.Er berauschte sich an diesem Wissen und ließ keine Gelegenheit aus, in denStraßen von Sledwaya Angst und Schrecken zu verbreiten.Er hatte sich eiserne Platten unter die Schuhsohlen genagelt, damit manseinen strammen Schritt schon hörte, wenn er noch Straßenzüge entfernt war,und seine knöcherne Amtskette klapperte wie das Skelett eines Gehängtenim Wind. Ein giftiger und galliger Geruch ging von ihm aus, ein Parfüm ausall den Essenzen und Säuren und Laugen, mit denen er seine unseligen Experimenteveranstaltete. Diese Düfte, die jedem außer Eißpin selbst Atemnotund Übelkeit verursachten, hingen beständig in seinen Kleidern und eilten ihmgenauso voraus wie sein Geklapper – eine Vorhut von unsichtbaren Leibwächtern,die für den Stadtschrecksenmeister den Weg frei machten.Alle flüchteten aus der Straße, nur das hagere Krätzchen blieb sitzen undharrte aus, bis der schreckliche Eißpin um die Ecke kam und seinen stechendenBlick auf die einzige Kreatur heftete, die es wagte, ihm im Wege zu sein.Aber selbst vor diesem Blick floh Echo nicht, jede Angst war von ihm gewichen– bis auf die einzige, zu verhungern, welche nun all sein Handelnbestimmte. Selbst wenn ein Rudel wilder Werwölfe unter Anführung einerWaldspinnenhexe um die Ecke gekommen wäre, hätte Echo in der sinnlosenHofnung ausgeharrt, dass ihm einer von ihnen ein Bröckchen Essbares hinwerfenkönnte.So kam Eißpin immer näher, blieb schließlich vor dem Krätzchen stehen,beugte sich zu ihm herab und sah es lange und erbarmungslos an. Der Windspielte mit seiner beinernen Kette, und in seinen Augen funkelte unverhohlendie Schadenfreude über die Leiden eines Geschöpfes, das so dicht an derSchwelle des Todes stand. Die Gerüche von Ammoniak und Äther, von Schwe-fel und Petroleum, von Blausäure und Leichenkalk drangen wie spitze Nadelnin Echos empfindsames Näschen, aber er wich keinen Fingerbreit.»Almosen, Herr Stadtschrecksenmeister?«, winselte Echo kläglich. »Ichhabe furchtbaren Hunger.«Eißpins Blick loderte noch dämonischer, und ein breites Grinsen erschienauf seiner bleichen Fratze. Er streckte seinen langen dürren Zeigefinger ausund kratzte damit über Echos hervortretende Rippen.»Du kannst sprechen?«, fragte er. »Dann bist du gar keine gewöhnlicheKatze, sondern ein Krätzchen. Eines der letzten Exemplare deiner Gattung.«Eißpins Augen verengten sich kaum merklich. »Wie wäre es, wenn du mir deinFett verkaufst?«»Das ist mächtig komisch, Herr Stadtschrecksenmeister«, erwiderte Echohöflich. »Macht ruhig Eure Scherze über einen, der mit einer Pfote im Grabsteht, denn ich habe etwas übrig für schwarzen Humor. Seht mir aber bittenach, dass ich darüber im Moment nicht lachen kann. Mir ist das Lachen imHals stecken geblieben, und da habe ich es runtergeschluckt, weil ich so großenHunger habe.«»Ich scherze nicht!«, sagte Eißpin scharf. »Ich scherze nie. Ich rede auchnicht von dem Fett, das du jetzt nicht auf den Rippen hast, sondern von dem,das du dir anfressen sollst.«»Anfressen?«, fragte Echo irritiert, aber plötzlich voller Hofnung. Alleindas Wort kam ihm nahrhaft vor.»Es verhält sich so …«, sagte Eißpin und veränderte seine Stimme derart,dass sie beinahe liebenswürdig klang. »Kratzenfett ist in der Alchimieein probates Mittel. Es konserviert Pestgeruch dreimal besser als Hundefett.Leidener Männlein,...
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